Traumhaftes Radfahren an Loire und in Loiret und Cher – Teil 2/2

Im ersten Teil unserer zweiwöchigen Radreise waren wir von Nevers entlang dem EuroVelo 6 und der Loire bis fast nach Orléans gefahren und sind dann über die Loire rüber in das Department Loiret abgebogen. Hier folgt jetzt der zweite Teil der 530 km langen Tour, die uns über viele kleine Orte und der ehemaligen Hauptstadt Bourges zurück nach Nevers führte.

Die Befürchtung, es könnte „nur Landschaft und sonst nichts“ – und damit langweilig – werden, war ein kompletter Trugschluss! Auch wenn es hier keinen von der EU geförderten, großen Radweg gibt, so liegen doch fast unendlich viele Kleinode (Schlösser, Kirchen, Künstlerdörfer, Schiffsbrücken und fantastische Restaurants) auf dem Weg – und nicht zuletzt wohnen auch hier sehr viele, sehr nette Leute und es macht Spaß sie und ihre Heimat jenseits von großen Touristenströmen zu erleben!

(Teil 1, also der Bericht von den Tagen 1-6, somit die Fahrt von Nevers nach Agent-sur-Soldre, im wesentlichen entlang dem EuroVelo 6 Radweg, ist hier zu finden.)

7. Tag (Samstag): Von Agent-sur-Sauldre nach Aubigny-sur-Nére

(Tagestour: 20km)
Für den Tag hatten wir nur eine kurze Tour von etwas über 20 km geplant. Zunächst ging es zum Schloss Blancafort, das sich dadurch auszeichnet, dass der Marquis mit seiner Familie dort noch wohnt. Insofern sind alle Räume voll eingerichtet.

Chateau Blancafort

Man kann deshalb nur im Rahmen einer Führung in einige der Räume, die aber durchaus sehenswert sind. Jeder der vier Fassaden des gotischen Schloss-Bauwerks aus dem 15. Jahrhundert ist in einem anderen Stil erbaut: man gelangt ins Innere des Schlosses über ein hölzernes Treppenhaus – eine Seltenheit in Frankreich. Im „Blauen Zimmer“ fallen besonders die Fächer auf. Einer davon aus feinen Goldfäden gesponnen. Die edlen Fächer dienten aber nicht nur als Ventilator, sondern in der Hauptsache versteckte Madame ihre schlechten Zähne dahinter. Natürlich gibt es auch in Blancafort wunderbare Tapisserien. Auch hier wurden sie bei Heirat oder je nach Bedarf mal gern in der Mitte durchgeschnitten, damit sie vor die Tür gehängt werden konnten. Die Tapeten im Schlafzimmer stammen aus dem 16. Jahrhundert, die heutigen Besitzer haben sie bei der Renovierung im Schloss vorgefunden. Zwei weitere Kostbarkeiten: die Kommode aus Veilchen-Holz (Bois de Voilette, eine australische Baumart) im Regénce Stil, einem französischen Kunststil aus der Zeit der Regentschaft von Philipp von Oliver (1715 bis 1723), sowie ein von Ludwig XIV. höchstpersönlich unterzeichnetes Schreiben.
In der Eingangshalle gibt es einen auffallenden Tisch, der im 16. Jahrhundert aus einem Kutschenrad gefertigt wurde. Der Gobelin an der Wand stellt ein biblisches Thema da: Moses in der Wüste, als er gerade Gebirgswasser sprudeln lässt. Wie schwer die Ritter seinerzeit zu tragen hatten erfährt man anhand der Prunk-Ritterrüstung aus dem 16. Jahrhundert, die an die 30 Kilo wiegt. Ein Schwergewicht ist auch der große Fotoband von Helmut Newton in der Bibliothek, der immerhin 27 Kilo wiegt. Blancaford ist nicht nur in optischer Hinsicht ein Genuss, sondern auch in Sachen Geruch: jedes Zimmer ist anders beduftet. Die Führung dauert eine knappe Stunde.

Etwas Besonderes ist auch die Kirche Saint-Étienne im nahen Dorf: Sie stammt, wie das Schloss, aus dem 16. Jahrhundert und ihr Turmdach geht bis zur Eingangstür herunter – eine ungewöhnliche Konstruktion.

Im Ort gibt es eine kleine Boulangerie / Partisserie. Dort konnten wir nicht umhin uns zwei der grandiosen „Tarte Citron“ zu kaufen, um sie etwas später in Ruhe auf einer Bank am Fluss zu genießen.

Dann fuhren wir weiter nach Aubigny-sur-Nére. Das Besondere an dem Ort ist, dass er um 1522 einmal komplett abbrannte und die beiden lokal herrschenden, englischen Brüder Béraud und Robert Stuart drei Wälder stiften, um den Ort in ihrem heimatlichen, schottischen Stil wieder aufzubauen. Mitten in Frankreich meint man also in Schottland zu sein – sehr besonders!

… wie in Schottland
Haus eines Dachdeckers, der seine ganz besondere Gesellenarbeit an seinem Haus vollbracht hat

Das macht ihn zu einer Touristenattraktion, was wiederum dazu führt, dass es viele Cafés und Geschäfte gibt, denen es offensichtlich recht gut geht. Damit unterscheidet sich der Ort von fast allen anderen in der Gegend: Während die Landflucht ansonsten nicht zu übersehen ist, wächst Aubigny-sur-Nére und wird zur Einkaufsmetropole. Ein wirklich schöner Ort, den es zu besuchen lohnt, ähnlich wie Chester in England. Wir haben dort die Kirche und natürlich die gesamte Innenstadt angesehen und waren abends nett im völlig ausgebuchten Lokal „Le Bien Allez“ essen. Reservieren ist in dem Ort mit etlichen Touristen wohl in allen Lokalen wichtig!

8. Tag (Sonntag): Von Aubigny sur Nére nach Ivoy-le-Pré

Frühstück in der „Villa Stuart“ in Aubigny sur Nére

(Tagestour: 31 km)
Nach dem – wie in Frankreich so oft – sehr leckeren und persönlichen Frühstück – selbst gemachte Marmeladen sind fast der Standard – ging es erst einmal wieder in den Ort. Dort hatte der lokale Rotary Club für den Sonntag eine Ausstellung von besonderen Automobilen organisiert. Das war sehr nett! Dort haben wir, unter anderem, auch ein Raketen-Motorrad gesehen, das bis zu 400 km/h schnell sein kann. Das ist ein Eigenbau von Claude Boissel, einem Bürger des Ortes. Er hat 3 Jahre und insgesamt etwa etwa 400 Stunden benötigt, damit sein 4,6 m langes, 400 kg schweres Jet-Trike mit 2500 PS fahrbereit wurde. Beate durfte mal Probesitzen und wir haben ein persönliches Autogramm bekommen – die Franzosen sind eben nett!

Danach sind wir dann 10 km mit unseren normalen e-Bikes bei üblichen 15-25 km/h zum sehr schön gelegenen Château de la Verrerie geradelt. Dort mussten wir, weil die Öffnungszeiten ziemlich unklar waren und auch das Internet nicht wirklich half, bis 14:30 Uhr warten, bis die Führung durch das nach wie vor bewohnte Schloss begann. Die Führung selbst fing mit einem längeren Vortrag über die Geschichte von Frankreich, England und Schottland und deren Auseinandersetzungen im Hundertjährigen Krieg an, in dem dieses Schloss eine herausragende Rolle spielte: Zunächst lebte die Familie der Stuarts hier über 300 Jahre, also die schottische Fraktion, die einst dem französischen König Karl VII. gegen die Engländer zur Hilfe kamen und dafür 1422 die Grafschaft Aubigny-sur-Nére geschenkt bekamen. John Stuarts Sohn, Béraud, hat das Schloss Ende des 15. Jahrhunderts bauen lassen.

Château de la Verrerie (mit Kunstobjekten im Park)
Die Schlosskapelle mit Darstellungen aus der frühen Familiengeschichte der Stuarts

Generationen später wurde 1670 Karls II. von England, ein direkter Nachfahre von John Stuart, der Besitzer. Doch Ludwig der XIV. von Frankreich erkannte diese Erbfolge nicht an, stimmte aber 1673 zu, das Schloss der gemeinsamen Mätresse Louise de Kérouaille, die ursprünglich Hofdame bei der Herzogin von Orléans war und eine wichtige, politische Vermittlerrolle hatte, zu übergeben. Sie und Ihre Nachkommen lebten dort bis Anfang des 19. Jahrhunderts. 1842 erwarb der Graf Léonce de Vogüé das Schloss. Seine Nachfahren bewohnen es immer noch.

Seit 1965 machten sie es in Teilen der Öffentlichkeit zugänglich. Heute kann man im Rahmen der Führung einige voll eingerichtete und auch noch genutzte Räume besichtigen, aber leider nicht fotografieren. Einzige Ausnahme ist die am Schluss der Tour stehende Schlosskapelle mit sehenswerten Fresken, die aus dem 16 Jahrhundert stammen und die damals wichtigen Personen und ihre Beziehungen aufzeigen. Da alle Besitzerfamilien immer wohlhabend waren, ist das Schloss sehr gut gepflegt und damit eine Rarität, die es absolut sehenswert macht!

So erlebenswert war auch die Führung durch einen älteren Herren (jemand aus der Familie?), der sehr kompetent die Einzelheiten erläuterte. (Man kann dort auch mehrtägigen Urlaub machen oder Feste feiern. Einzelübernachtungen werden aber seit 2018 nicht mehr angeboten.)

Der Innenhof des Schlossen von La Chapelle-d’Angillon

Weiter ging es nach La Chapelle-d’Angillon. Das dortige Schloss mit trockenem Burggraben, aber schöner Lage oberhalb der Petite Sauldre, haben wir nur von außen teilweise umrundet, weil wir nicht schon wieder Eintritt bezahlen wollten.

Am späten Nachmittag kamen wir dann in Ivoy-le-Pré an, wo wir zunächst einen kurzen Blick in die schlicht-schöne und von innen weiß gehaltene Église Saint Aignan warfen.

Dann sind wir sozusagen hintenrum über einen etwas verwegenen Waldweg zu unserer nächsten Unterkunft weiter geradelt – der Weg über die D12 Richtung Nordwest wäre der bessere gewesen. Dort haben wir erneut in einem Schloss-artigen Anwesen, „La Maison“, bei Bruno und Marianne – den sehr netten Gastgebern – gewohnt und uns fast wie zu Hause gefühlt (so ein zu Hause hätten wir schon gern 🙂

Sie haben nur wenige, aber schöne Zimmer und für die (an dem Abend) nur 4 Gäste gab es auf der Außenterrasse ein wundervolles, von den Gastgebern persönlich kredenztes Abendessen mit entsprechenden Weinen aus der Gegend – zwar einfach, aber frisch zubereitet und wahrscheinlich deshalb so intensiv geschmackvoll! (Burata mit 3 Arten Tomaten, Dorade mit Bratkartoffeln und heißen Aprikosen, und selbst gebackener Kirschkuchen mit heißen Kirschen und Sahne). Als Höhepunkt durfte man durch die nachts beleuchtete Lindenallee gehen. Ein wunderschöner (aber auch nicht ganz billiger) Abend.

9. Tag (Montag): Von Ivoy-le-Pré nach Les Aix-d’Angillon


(Tagestour: 26km) Der morgendliche Blick aus dem Fenster zeigte erneut wieder gutes Wetter und wir machten uns so gegen 10:30 Uhr auf dem Weg. Zunächst kamen wir nach Henrichmont, das vom Namen her an Richmond, dem kleinen Ort vor Londons Toren, erinnert. (Der Sohn von Louise de Kérouaille, der Schlossherrin auf La Verrerie, mit dem englische König Karl II., war „Duke of Richmond“. Ich weiß allerdings nicht, ob das hier wirklich eine Rolle spielte). Es wurde 1608 als „neue Stadt“ großzügig von Maximilien von Béthune, dem Herzog von Sully, mit rechteckigen Straßen und einem großen Platz in der Mitte geplant und in den Folgejahren zumindest teilweise umgesetzt. Dort, am großen Dorfplatz, haben wir in einer schon morgens gut besuchten Bar erst einmal ein erfrischendes Mente à l’Eau getrunken.

Nachdem wir uns noch kurz die Kirche in Henrichmont angesehen hatten, ging es weiter zum Töpferdorf La Borne, das wir zur Mittagszeit erreichten. Die ersten Töpfereien entstanden dort im 16. Jahrhundert. Mitte des 19. Jahrhunderts stand das Töpfer-Handwerk in voller Blüte und auf der Weltausstellung von 1889 wurden große 600 Liter fassende Gefäße ausgestellt. Dann kamen die Blechkonserven, die leichter waren, womit das Steingut aus La Borne das Nachsehen hatte. 1970 starb der letzte traditionelle Töpfer. Nur wenige Jahre später siedelten sich unkonventionelle Keramiker aus vielen Ländern an – es entstand eine Künstlerkolonie, von der Überbleibsel bis heute erhalten sind. Im Dorf haben wir uns mehrere der Töpfereien angesehen: Sie produzieren überwiegend Klein- und manchmal auch Gebrauchskunst. In der ehemaligen Kirche, in der Nähe der Bäckerei, ist heute ein Töpfermuseum untergebracht. Das öffnet aber erst nachmittags ab 15:00 Uhr – für uns zu spät.

Es gibt dort zwar prinzipiell noch zwei (wohl auch recht gute) Restaurants, die L’Epicerie und das Le Kilometre. Beide haben aber in der Urlaubszeit, beziehungsweise anfangs der Woche, geschlossen. An Montagen haben sowieso fast alle Restaurants in fast ganz Frankreich zu. Eine Rettung bot in La Borne nur die kleine, aber gute Bio-Bäckerei am Ende des Dorfes, in der wir leckeren Kuchen und ein Baguette kaufen konnten. Damit war das Mittagessen gerettet. Fazit für das Töpferdorf: Ganz nett, aber nicht wirklich ein „muss“.

Von dort ging es zunächst über einen Waldweg von etwa 1,5 km weiter. Der war zwar etwas holprig, aber dadurch, dass es weitgehend bergab ging, doch leidlich gut zu fahren. (Ich habe die gespeicherte Tour nachträglich auf bessere Wege verlegt).

Chateau Maupas

Weiter ging es am Schloss Maupas vorbei, dessen Besitzer kürzlich gewechselt hat. Es wird zur Zeit renoviert und kann deshalb im Moment leider nicht besichtigt werden. Das ist schade, denn es hat eigentlich einiges zu bieten: Besonders sind die 887 Fayence-Teller aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Die Sammlung hängt im Treppenhaus. Im charmanten Zimmer der Herzogin von Berry zeugt das kunstvolle Himmelbett des Justizministers von Ludwig IV. von Glanz und Gloria. Und auch den für ein Schloss obligatorischen Geheimschrank gibt es. Stolz ist man auf den ersten Schreibtisch der Geschichte, geschreinert im 17. Jahrhundert für Mazarin, Minister unter Ludwig XIV. Das wertvollstes Stück ist eine Fahne Karls X., die einzige Königsfahne, die die Revolution überstanden hat. Vielleicht demnächst wieder …?

Kirche von Sainte-Solange

Nachdem wir in Morogues noch die Kirche Saint-Symphorien aus dem 13. Jahrhundert angesehen haben, sind wir weiter nach Sainte-Solange. Dort gibt es eine Kirche (aus dem 12. Jahrhundert, um 1600 restauriert), einen Bäcker und einen Metzger, sodass wir ein bisschen einkaufen und neben der geschlossenen Kirche eine Pause einlegen konnten.

Dann ging es zum Ziel des Tages: nach Les Aix-d’Angillon. Das ist ein ziemlich verschlafenes Städtchen, in dem es nicht einmal ein Restaurant mehr gibt (bis auf eine 3 km entfernte Pizzeria). Sie haben eine nette Kirche aus dem 12. Jahrhundert, eine Wettkneipe, die allerdings auch um 19:00 Uhr schließt, und zwei Bäckereien, in dem man sich etwas zu essen holen kann. Getröstet hat nur, dass unsere Unterkunft einen Pool hatte.

10. Tag (Dienstag): von Les Aix-d’Angillon nach Bourges


(Tagestour: 21 km)
Über die Anfahrt nach Bourges lässt sich relativ wenig sagen, außer dass der Verkehr immer dichter wurde. Wir kamen zu früh am am Zentrumsrand gelegenen Hotel an, konnten unsere schweren Taschen aber schon mittags abgeben, obgleich das Hotel eigentlich erst um 15:00 Uhr öffnete.

Bourges mit heute fast 65.000 Einwohnern und damit die größte Stadt unserer Tour, die auch schon mal Hauptstadt von Frankreich war – von 1422-1437, als Paris von den Engländern besetzt war – ist ein schönes mittelalterliches Städtchen mit vielen Geschäften und einem ganz zentralen Mittelpunkt: der riesigen, gotischen Kathedrale Sankt Etienne. Am Platz gleich dahinter liegt das Touristenbüro, in dem man eine Karte der Stadt mit Besuchsempfehlungen kostenfrei bekommt.

Ein Spaziergang durch die belebte Stadt lohnt sich. Da gibt es auf der einen Seite die Fußgängerzone mit zahlreichen Geschäften in mittelalterlichen Häusern. Aber die wichtigste Straße, und auch mit die älteste, ist die Rue Bourbonnoux auf der anderen Seite. Dort sind auch die meisten Restaurants zu finden. Dort haben wir auf einer zum Restaurants La Gargouille gehörenden Verkehrsinsel nett zum Mittag essen können. Nach einer Pause im Hotel sind wir abends noch einmal wieder in den Ort gefahren und haben erneut in der Straße in der Creperie des Remparts günstig ein paar Kleinigkeiten genossen.

11. Tag (Mittwoch) in Bourges


Es gibt Tage, an denen hat man nicht so viel Glück. Dazu gehörter dieser. Einige der Sachen, die wir uns ansehen wollten, waren entweder ganz oder auch nur an diesem Tag geschlossen. Glück hatten wir allerdings mit dem Haus des ersten Finanzmagneten Frankreichs, Jacques Caeur. Er wurde 1440 von Karl VII. in den Adelsstand erhoben. Das geschah wegen seiner Verdienste um die Finanzbeschaffung und -Verwaltung, mit deren Hilfe es gelungen war am Ende des Hundertjährigen Krieges, die Engländer wieder aus Nord-Frankreich zu vertreiben. Der so genannte Krieg war eigentlich eine Folge von vielen kleinen Kriegen und Auseinandersetzungen zwischen anglo-französischen Adelsfamilien im Zeitraum zwischen 1337 bis 1453. Daraus sind damals letztendlich England und Frankreich als Staatsgebilde hervorgegangen.

Innenhof des Palasts von Jacques Caeur

Der sehr mächtig und reich gewordene Jacques Caeur beschloss 1446 sich einen adäquaten Alterssitz in Bourges bauen zu lassen. Der Palast wurde erst 1451 fertiggestellt. Da er damals beim König in Ungnade fiel und zunächst eingesperrt wurde, später aber nach Italien zum Papst fliehen konnte, hat er sein Haus nie wirklich bewohnt. Stattdessen wurde es nach ihm über hunderte von Jahren vielfältig anders genutzt. Das führt dazu, dass man heute zwar die Räume angucken kann, diese aber im wesentlichen leer sind und offensichtlich schon damals nicht sehr pompös ausgebaut worden waren. Immerhin gab es In­ge­nieur­-tech­nisch gesehen fort­schritt­li­che Was­ser­in­stal­la­tionen mit einem Hei­zungs­raum und Ba­de­zim­mer mit einem Sys­tem von Trep­pen­zu­gän­gen zu den ein­zel­nen Schlaf­zim­mer, sodass die Gäste ein­an­der nicht stö­ren konnten. Man kann sich heute das Haus eintrittspflichtig ansehen, was etwa eine Stunde dauert – man muss es aber nicht. (Tipp: Für das Haus und die Krypta in der Kathedrale gab es 2022 ein Kombiticket für 12 Euro, womit man etwas Geld sparen kann.)

Die 1195 begonnene und 1324 geweihte Kathedrale Saint Etienne ist das herausragendste Gebäude in Bourges – und darüber hinaus. Mit ihren 5 gemeißelten Portalen, die 5 Kirchenschiffen vorstehen, und mit einer imposanten Länge von 118 m, einer Gewölbehöhe von 37 Metern im Mittelschiff und 46 Metern Breite ist sie sogar die breiteste Kirche in ganz Frankreich! Das allein macht sie schon sehenswert. Das wird aber noch einmal durch eine schöne Schlichtheit und dann im Chor mit vielen, bunten Fenster in mehreren Ebenen, alle im Wesentlichen aus dem XIII. Jahrhundert, intensiviert.

Auch die Sakristei und die romanische Krypta in der Kathedrale sind sehenswert. Man kann sie allerdings nur im Rahmen einer kostenpflichtigen, 45 Minuten dauernden Führung besichtigen, die es nur zu bestimmten Uhrzeiten gibt – im Prinzip fünfmal am Tag, aber sie können auch mal ausfallen. Dort sind ehemals in der Kirche abgebaute Teile zu sehen, etwa Teile des ehemaligen Lettners, von dessen Figuren die Hugenotten 1562 die Köpfe abgeschlagen hatten, weil sie jeder Personenhuldigung absprachen. Das Grabmal des Herzogs Jean de Berry (1340-1416) ist dort ebenfalls ausgestellt. Ganz im Zentrum liegt die eigentliche, romanische Krypta, die sehr alt ist und erst am 18. Jahrhundert wieder entdeckt wurde. Ansonsten ist die romanische Sakristei unter dem hinteren Teil der Kathedrale quasi so etwas wie der Keller, der dafür sorgt, dass der große Innenraum der Kathedrale immer ebenerdig wirkt. Der Keller unterlegt deshalb nur etwa eine Hälfte der Kathedrale.

Eigentlich soll es in Bourges auch moderne Kunst geben. Die soll im Hotel Lallemand (einem kleinen Stadtschloss) ausgestellt sein – das hat nur leider zurzeit geschlossen.

Unsern zweiten Stadtspaziergang beschlossen wir übrigens im (mal wieder) englischen Café Cake-Thé. Das liegt sehr ruhig in einer Seitengasse der Rue Bourbonnoux auf der ehemaligen Stadtmauer in einem Gewölbekeller mit kleinem Garten. Dort gibt es wirklich fast unverschämt leckere, selbstgemachte Torten, englische Scones mit Marmelade und Clotted Cream, und guten Tee/Kaffee, aber auch zu gesalzenen Preisen.

12. Tag (Donnerstag): von Bourges nach La Guerche-sur-l‘Aubois

(Tagestour: 60 km)
Morgens ging es südöstlich aus Bourges heraus. Wir kamen zunächst an einen größeren See. Dort hat die offensichtlich ökologisch orientierte Stadtverwaltung einen künstlichen Schwalbenbaum aufgestellt. Die Fahrt ging weiter über gemütliche Nebenstraßen ohne viel Verkehr. In den Dörfern war wenig los und überall waren die ehemaligen Gaststätten alle geschlossen – sicher ein Effekt von Landflucht und Corona. Selbst die Kirchen waren zumindest abgeschlossen, wenn nicht verlassen. Irgendwann begann es auch noch zu regnen, aber wir konnten uns an der Kirche in Josy-Champagne zumindest etwas unterstellen.

In Ourouer-les-Bourdelins gab es zumindest im Garten des Hotel/Restaurants Lion d’Or ein offenes Café, in dem Leute aus dem Dorf zum Mittag gegessen hatten und noch etwas Wein tranken. Da wir erst kurz vor 14 Uhr dort waren, war die Lust der Wirtin uns noch etwas zu servieren leider wenig ausgeprägt. Wir haben dann nur ein Eis gegessen.

Nach der Pause fuhren wir weiter nach La Guerche-sur-l’Aubois. Vor dem Ort wird die Verkehrssituation etwas brenzlig, da man auf die Bundestrasse D920 muss. Die wird leider auch von dicken Lastwagen, die sich dann auch alle durch den Ort zwängen, stark befahren. Leider gibt es keine Alternative. Immerhin konnten wir zur Unterkunft Du Jay, die etwas außerhalb im Westen liegt, bis auf eine ganz kurze Strecke doch über Nebenwegen weiterfahren.



Wir wussten, dass es im Dorf kein Restaurant mehr gibt (aber eine Kneipe ist noch da) und waren dann doch etwas überrascht, dass es dort nicht nur eine Öko-Bäckerei und einen Laden für Produkte aus der Gegend gibt. Das Besondere liegt nämlich in einer Nebenstraße, am Place Charles de Gaulle, in der Nähe der Post: die französisch-österreichische Pâtisserie Chocolaterie Chrétien Jean-Michel. Deren wunderbare und günstigen Leckereien – Tartes mit karamelisierten Früchten oder Blätterteigtaschen mit Kartoffelfüllung sind u.a. deren Spezialitäten – konnte man sogar auf Deutsch bestellen. Gegessen haben wir das später im schönen Garten unserer Unterkunft „Du Jay“, einem kleinen Mini-Schloss außerhalb des Ortes.

13. Tag (Freitag) von La Guerche-sur-l’Aubois nach Nevers

(Tagestour: 36 km)

Unser letzter Tourabschnitt begann entlang eines Nebenwegs der Loire à Velô Route 6, die im Ort beginnt. Erneut ging es entspannt über kleine Nebenstraßen mit wenig Verkehr bis zur Allier. Auf den Fluss trifft man bei Apremont-sur-Allier. Der kleine, wunderschön gelegene Ort zählt zu den prämiert „schönsten Orten Frankreichs“. Dass er so schön ist, liegt daran, dass ein Industrieller im 19. Jahrhundert das Schloss (das man nicht besichtigen kann) erwarb und das Dorf restaurierte. Heute ist es ein Magnet für viele Touristen. Nach einem kurzen Zwischenhalt in Restaurant und Kirche ging es für zunächst am Allier-Kanal auf einer sehr schönen Strecke, oftmals unter weit ausladenden, alten Bäumen, weiter.

Dort wo Allier und Loire zusammenkommen, gibt es einmal mehr viel zu sehen: unter anderem die 1838 gebaute Kanalbrücke Pont-Canal du Guétin mit drei Schleusen, die 340 m lang über die Allier verläuft und die beiden Flüsse, besser gesagt deren Kanäle, verbindet. Die Schiffshebeschleuse dazu ist mit 9,5m sehr tief und beeindruckend.

Dann ging’s weiter an dem Kanal, den wir irgendwann verlassen mussten, um in Richtung Nevers abzubiegen (In der Bikemap-Planung habe ich das etwas angepasst, da die etwas längere Strecke entlang des EuroVelos wahrscheinlich schöner ist). Schon von fernen sieht man deren Kathedrale, muss vorher aber noch kurz auf die Bundesstraße und über die Loire-Brücke. Und dann hieß es für uns: „Angekommen!“ Insgesamt waren es (laut Tacho) 530 km.

14. Tag (Samstag) in Nevers

Nevers liegt in der Nähe des Zusammenflusses der Loire und der Allier. Deshalb hatte die Stadt mit heute 33.000 Einwohnern (die zweitgrößte unserer Tour) schon lange eine überregionale Bedeutung. Das sieht man an ihren Bauwerken im Zentrum. Es ist eine gute Idee, die Besichtigung im Zentrum zu beginnen, etwa mit dem Palais Ducal, der 1491 fertig gestellt und später teilweise verändert wurde. Der Bau ist einer der bedeutendsten Feudalbauten in Zentralfrankreich. Er wird heute für Empfänge genutzt und beherbergt verschiedene Abteilungen der Stadtverwaltung, wie auch das Fremdenverkehrsbüro (an der Seite links). Dort sollte man zuerst hingehen, denn die haben kostenlose Informationen über die besten Routen durch die Stadt. Es gibt im Prinzip zwei Bereiche: einmal die Altstadt und dann das Einkaufsviertel. Durch beide führen mit einer blauen Linie gekennzeichnete Fußwege, die einen letztlich zu allen Sehenswürdigkeiten führen. Das hat man in Nevers wirklich gut gelöst.

Beginnen wird man in der Altstadt mit dem Palais Ducal und dann gleich folgend mit der Saint-Cyr-Saintes-Juilette Kathedrale nebenan. Sie besteht eigentlich aus zwei Gebäuden mit zwei Apsiden. Die Apsis und das Querhaus im Westen sind Reste eines romanischen Kirchenbaus, während der Mittelbau und die östliche Apsis gotischer Herkunft sind und aus dem 14. Jahrhundert stammen. Das Kirchenportal stammt aus dem 15. Jahrhundert und der von weitem sichtbare Turm entstand im frühen 16. Jahrhundert. Die Kathedrale ist schon interessant, kann aber der in Bourges nicht ganz das Wasser reichen.

Schlendert man weit genug durch die mittelalterlichen Gassen kommt man irgendwann zur romanischen Kirche Sankt Etienne. Die ehemalige Prioratskirche von Nevers ist ein Meisterwerk aus dem 11. Jahrhundert, damals eine Gründung durch die Abtei von Cluny. Charakteristisch ist die Errichtung einer Apsis mit drei radial dazu abgehenden Kapellen. In ihr haben früher Pilger auf dem Boden geschlafen, der mit schönen Mosaiken ausgekleidet ist. Ansonsten ist sie sehr schlicht und damit irgendwie schön.

Geht man noch etwas weiter und die Rue Mirangon hinauf, kommt man zum Pariser Tor aus dem 18. Jahrhundert, das groß und Marmor-weiß zu leuchten scheint. Im Innern befinden sich ein hymnisches Gedicht von Voltaire an den damaligen König Ludwig XV. und die Baudaten.

Dann ist man im Einkaufsviertel. Ein paar Schritte weiter, am Beginn der Rue François Mitterrand, liegt zur Linken ein kleines Geschäft, das eine lokale Besonderheit anbietet: 1902 war der Kaiser von Abessinien, bekannt als Le Négus, in Nevers zu Gast. Ihm zu ehren kreierte man im Haus Grelier nach ihm benannte, spezielle Karamellbonbons, die mit etwas Schokolade oder Kaffee im Zentrum und einer harten Zuckermasse außen herum gemacht wurden und werden. Sie kann man dort in der Straße in der Hausnummer 96 immer noch kaufen. Die sind lecker, aber leider auch teuer. Nur die Bedienungen in dem Laden sind leider wenig kundenfreundlich, zumindest wenn man kein Franzose ist.

Das Problem kann man ähnlich auch an anderer Stelle erfahren: in den wirklich guten Restaurants, und es müssen nicht unbedingt die ganz teuren sein, ist man gern unter sich, sprich, hier treffen sich die Bürger des Ortes und die Gastwirte achten darauf, dass nicht zu viele Touristen dazu kommen. Umso mehr ist es immer gut für das Abendessen zu reservieren. Dabei sollte man sich hier keinesfalls auf Web Apps verlassen, sondern unbedingt anrufen oder, noch besser, direkt vorsprechen. Eine letzte Chance hat man, wenn man pünktlich zur abendlichen Eröffnung da ist, also um 19 Uhr (oder manchen Fällen auch erst 19:30 Uhr). Dann hat man auch in solchen Restaurants eine Chance. Einfach ist das zum Beispiel im Restaurant „Comptoir Saint Sébastien“ (9 Pl. Saint-Sébastien), das ist groß und man trifft viele Touristen und wenige Einheimische. Das Essen dort zeichnet sich durch gehobene Convenience aus, aber auch nicht mehr. Anders ist es in einem wirklich guten, kleineren, familiengeführten Restaurant, wie dem „Ô Puits“ (21 Rue Mirangron, +33-3865-92888, bei gutem Wetter mit Außenterrasse), in dem die oben genannte Regel deutlich wird. Hat man es trotzdem geschafft, ist die Freude umso größer!

Die Loire

Diese Rad-Reise 2022 hat sich mal wieder mehr als gelohnt: Wir haben eine Ecke von Frankreich kennengelernt, die mit spannenden Überraschungen aufwartete und die wir so nicht erwartet hatten: Der nachhaltig wirkende Einfluss der Schotten auf die Region ist bemerkenswert. Grandiose Bauwerke, wie die Kathedrale von Bourges und die beiden langen Schiffsbrücken, aber auch die vielen und sehr unterschiedlichen (bewohnten) Schlösser sind wirklich beeindruckende Highlights. Aber nicht zuletzt sind es die Menschen und auch deren Art zu Leben … und zu Essen – frisch, viel Gemüse, sehr leckere Soßen, fantastischer Käse und dazu leichte Weißweine (Sancerre, Poully Fumé, …) sind ein Genuss. Für uns eine tolle Entdeckung – gern noch einmal!!!

Teil 1 dieses Reiseberichts ist hier zu finden. Und mehr über unsere Radreise im westlichen Teil der Loire, also zwischen Orléans und Nantes gibt es hier. Viel Spaß beim entdecken!

Beide Touren sind absolute Empfehlungen, wenn man Spaß an einem gemütlichen Radtouren-Urlaub in toller Landschaft mit vielen kulturellen Überraschungen hat. Schöner geht kaum!

3 Kommentare zu „Traumhaftes Radfahren an Loire und in Loiret und Cher – Teil 2/2

  1. Toller Reisebericht mit schönen Bildern, die wieder Lust auf diese Gegend machen. Danke dafür!
    Man sollte sich die Bilder allerdings nicht anschauen, wenn man gerade Hunger hat 🙂
    War bestimmt ein erholsamer Urlaub voller Erlebnisse. Das bleibt „hängen“!

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